Mallorca Zeitung

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Eine Ikone der abstrakten Kunst zeigt ihr vor Vitalität sprühendes Spätwerk

Die von der Stadt Palma proklamierte Qualitätsoffensive für das Casal Solleric geht weiter: Es zeigt bis Juni eine große Solo-Schau von Luis Gordillo, einem der wichtigsten spanischen Künstler der Gegenwart. Sie zieht uns tief hinein in das vielschichtige, abstrakte Universum des 89-jährigen Sevillaners

Werk von Luis Gordillo. B. Ramon

Die sprühende Vitalität dieser Kunstwerke lässt einen kaum glauben, dass ihr Schöpfer bereits über 70 Jahre alt war. Doch in der frisch eröffneten Ausstellung „Constantes vitales“ (Lebenszeichen oder -konstanten) im Casal Solleric sind hauptsächlich Arbeiten aus den vergangenen 20 Jahren des 1934 in Sevilla geborenen Künstlers Luis Gordillo zu sehen – eine Referenz für abstrakte Kunst in Spanien, der 1959 seine erste Ausstellung bestritt. Der Träger von Auszeichnungen wie dem spanischen Kunstpreis oder dem Velázquez-Preis ist seit über 60 Jahren eine Kunst-Konstante.

Bisland wichtigste Schau des Künstlers auf den Balearen

In Deutschland, wo Luis Gordillo aktuell mit der Galerie Carlier Gebauer zusammenarbeitet, habe er auf internationaler Ebene seine größten Ausstellungen gehabt, erklärt der renommierte Kunstkritiker Sema D’Acosta bei dem MZ-Rundgang durch die bislang wichtigste Schau des Künstlers auf den Balearen. D’Acosta, Co-Kurator neben Fernando Gómez de la Cuesta, spricht voller Bewunderung von Gordillo. Und er kennt sich mit der Bedeutung der Fotografie im Werk des Künstlers aus – es ist das Thema seiner Doktorarbeit und auch ein Kernthema dieser Ausstellung.

Die Verwendung von Fotografie für Collagen stellte einen großen Einschnitt in Luis Gordillos Werke dar. B. Ramon

„Alles erscheint ungeordnet, aber es unterliegt seiner Kontrolle“

Die Tatsache, dass Luis Gordillo begann, Fotos als Ausgangsmaterial für seine Collagen zu nutzen, habe direkt mit seinem fortgeschrittenen Alter zu tun, erklärt der Kurator: Ein Bild von Grund auf neu zu malen, sei kompliziert und kräftezehrend. „Von einem bestehenden Bild ausgehend zu arbeiten, ist einfacher.“ Gordillo fing damit an, zufällige Bilder zu sammeln, auszuschneiden und sie zu neuen Kompositionen zusammenzufügen. „Alles erscheint ungeordnet, aber es unterliegt seiner Kontrolle“, so D’Acosta. Ordnung und Chaos, Spannung und Kontrolle, Spaß und Organisation – diese Pole seien die Schlüssel zum Verständnis von Gordillos Kunst.

Konzeptuelle Kunstwerke mit fortgeschrittenem Alter

Der zweite Raum macht die schwerwiegende Veränderung im Schaffen des Künstlers gut nachvollziehbar, als dieser das Malen weitgehend aufgab und konzeptuelle Kunstwerke entwickelte. Für das Bild „Sílabas-Palabras y Anotaciones“ von 2020 nahm er vergrößerte Ausschnitte von Fotografien, veränderte die Elemente und malte darüber. Gordillo interessiere nach wie vor auch der Akt des Malens, erklärt der Kurator. Doch er sei sich bewusst, dass er in seiner verbliebenen Lebenszeit nicht mehr alle Gemälde ausführen können wird, die er noch im Kopf hat. „Aber er hinterlässt uns hier die Idee des Bildes – und diese wird bestehen bleiben“, betont D’Acosta.

Psychoanalyse, Surrealismus und der Strom des Unbewussten

In der Raummitte des nächsten Saals platzierte Vitrinen liefern ein Zeugnis von Gordillos Überlegungen, um die etwas seltsamen, aber poetischen Werktitel zu finden. Sie haben viel mit Psychoanalyse – einem Steckenpferd des Künstlers –, mit Surrealismus und dem Strom des Unbewussten zu tun. Wenn alles gut geht, wird Gordillo demnächst für eine Lesung mit eigenen Gedichten und Aphorismen nach Mallorca reisen. Zuvor hat er jedoch noch einen größeren medizinischen Eingriff.

Kontrolliertes Chaos

Eine monumentale Wandcollage als Memento mori

Einer der Höhepunkte wartet in der Mitte des Rundgangs: Die monumentale, vor den Augen zu vibrieren scheinende Wandcollage „Materia TIEMPO: narrativa“ von 2023. „Die Farben harmonieren perfekt, und der Effekt ist sehr malerisch“, sagt D’Acosta. Er sieht hier sowohl Ambitionen eines Selbstporträts als auch die Auseinandersetzung mit dem Tod. Ein Memento mori, das durchaus humorvolle Züge hat: Fotos von einem Gordillo mit Taucherbrille, der sich offenbar jünger sehen möchte, als er ist, hängen neben Ausschnitten von Rembrandt- oder Dürer-Porträts, lachenden Buddhas und quietschgrünen Fröschen.

Fixierung auf Gesichter

In dem großformatigen Werk lässt sich eine weitere „Lebenskonstante“ des Künstlers ausmachen: die Fixierung auf Gesichter. „Sie waren schon das Motiv seiner ersten wichtigen Serie“, erklärt D’Acosta. Wenn der Künstler bestehende Bilder nutzte und Malerei hinzufügte, dann ging es ihm darum, neue Strukturen hinzuzufügen, die Spannung erzeugen – bei einem organischen Bild etwa geometrische Strukturen.

Eine farbenfrohe Welt

Die Schau zeigt aber auch, wofür sich Gordillo interessierte, bevor die Fotografie in sein Schaffen Einzug hielt. Bei einem älteren Werk von 1998 etwa kreierte er Spannung und Tiefenwirkung nur mit malerischen Mitteln. Dabei suchte er laut D’Acosta eine Entwicklung ins Vertikale, in die Tiefe des Bildes hinein. Dem gegenübergestellt sind Arbeiten von 2020 – eine sich aus dem kreativen Energiefluss heraus entwickelnde Reihe in der Horizontalen. Erfrischend sind auch die Werke, für die Gordillo Malbücher verwendete – ein Material, das eigentlich die kindliche Kreativität bremst, weil vorgegeben wird, dass nur innerhalb der Linien (aus-)gemalt werden darf. „Gordillo hingegen macht, was er will“, so der Kurator. Er schafft eine farbenfrohe Welt, in der nur der Künstler selbst die Regeln festlegt.

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